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Betriebsvereinbarung: Rechtswirkungen und Günstigkeitsprinzip

Die Betriebsparteien (Arbeitgeber und Betriebsrat) haben auf der Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) in vielen Bereichen zusammenzuarbeiten. Dem Betriebsrat obliegt eine Vielzahl von Rechten zur Beteiligung an arbeitgeberseitig zu treffenden Entscheidungen. In wichtigen Betriebsbereichen ist vorgesehen, dass der Betriebsrat bei Arbeitgeberentscheidungen mitbestimmen muss, so z.B. im Bereich der sog. „sozialen Angelegenheiten“ gemäß § 87 BetrVG sowie bei „personellen Einzelmaßnahmen“ gemäß § 99 BetrVG.

Haben Arbeitgeber und Betriebsrat in mitwirkungs- oder mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten unterschiedliche Auffassung, muss im Regelfall eine Einigung herbeigeführt werden. In der Praxis finden sich Übereinkünfte zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bei Fragen der Aufstellung des Urlaubsplans, der Gestaltung der Arbeitszeit, der Gestaltung der Ordnung im Betrieb, der Reglementierung eines betrieblichen Eingliederungsmanagement gemäß § 84 SGB IX etc..

Dabei ist die sog. Betriebsvereinbarung die bedeutsamste Form einer Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.

 

1. Wesen und Rechtsnatur der Betriebsvereinbarung

Das Betriebsverfassungsgesetz definiert die Betriebsvereinbarung nicht. Sie wird aber als ein eigenes Rechtsinstrument der Betriebsverfassung begriffen.

Wesentliche Regelungen zur Betriebsvereinbarung finden sich in § 77 BetrVG. So ist gesetzlich festgelegt, dass Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber durch den Arbeitgeber durchzuführen sind, es sei denn, dass im Einzelfall etwas anderes vereinbart ist (§ 77 Abs. 1 S. 1 BetrVG). Betriebsvereinbarungen sind von Betriebsrat und Arbeitgeber gemeinsam zu beschließen und schriftlich niederzulegen. Sie sind nach den gesetzlichen Festlegungen von beiden Seiten (Arbeitgeber und Betriebsrat) zu unterzeichnen; dies soll nicht gelten, soweit Betriebsvereinbarungen auf einem Spruch der Einigungsstelle (§ 76 BetrVG) beruhen, vgl. § 77 Abs. 2 BetrVG). Gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Auch hier findet sich aber eine gesetzliche Ausnahme: Betriebsvereinbarungen sind trotz bestehender Regelungen in einem Tarifvertrag zulässig, wenn der Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt (§ 77 Abs. 3 BetrVG).

Von herausgehobener Bedeutung ist die Festlegung in § 77 Abs. 4 BetrVG, wonach Betriebsvereinbarungen „unmittelbar und zwingend“ gelten.

Aus Vorstehendem ergibt sich, dass die Betriebsvereinbarung durchaus Ähnlichkeit mit privatrechtlichen Verträgen hat. Ebenso wie Verträge kommen Betriebsvereinbarungen durch Willensübereinkunft zweier Parteien (hier: Arbeitgeber und Betriebsrat) zustande. Allerdings unterscheidet sich die Betriebsvereinbarung von einem Vertrag durch die gesetzlich angeordnete unmittelbare und zwingende Wirkung, die sich auf den Betrieb und die von Betriebsverfassungsgesetz erfassten Arbeitnehmer erstreckt. Während Verträge im Regelfall lediglich die unmittelbar daran beteiligten Parteien binden und nur für diese Rechte und Pflichten begründen, wirkt die Betriebsvereinbarung im Betrieb ähnlich wie ein Gesetz. Die Betriebsvereinbarung wird daher zum Teil auch als „Betriebsgesetz“ bezeichnet, andere beschreiben die Betriebsvereinbarung als „privatrechtlichen kollektiven Normenvertrag“.

Die sog. „normative“ Wirkung der Betriebsvereinbarung hat zur Folge, dass sich Arbeitnehmer auf die Regelungen in der Betriebsvereinbarung unmittelbar berufen können. Enthält eine Betriebsvereinbarung Vergünstigungen (Zusatzurlaub, günstige Ausgestaltung der Arbeitszeit/Gleitzeit, Festlegung von Sozialleistungen des Arbeitgebers etc.), können die von der Betriebsvereinbarung erfassten Arbeitnehmer diese Rechte vom Arbeitgeber ohne weiteres einfordern. Auch möglicherweise in einer Betriebsvereinbarung festgelegte Urlaubs-oder Arbeitszeitpläne sind für die Arbeitnehmer des Betriebs bindend.

 

2. Zwingende Wirkung der Betriebsvereinbarung und Günstigkeitsprinzip

Nach Obenstehendem ist festzuhalten, dass die Betriebsvereinbarung gemäß § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG unmittelbar und zwingend wirkt. Ihr kommt eine sog. „normative Wirkung“ zu. Damit wirkt die Betriebsvereinbarung wie ein Gesetz auf das Arbeitsverhältnis ein.

Die zwingende Wirkung der Betriebsvereinbarung wird lediglich durch das sog. „Günstigkeitsprinzip“ durchbrochen (BAG, Urteil vom 05.03.2013, Az. 1 AZR 417/12).

Das Günstigkeitsprinzip kommt nur zum Tragen, wenn eine Kollision von Regelungen der Betriebsvereinbarung und individualrechtlichen Absprachen besteht. In einem solchen Fall setzen sich günstigere individualrechtliche Regelungen gegen die ungünstigere Betriebsvereinbarung durch. Der Arbeitnehmer kann sich gegenüber dem Arbeitgeber dann auf die ihm günstigere Regelung berufen (BAG, Urteil vom 28.06.2005, Az. 1 AZR 213/04).

Die Anwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips setzt also voraus, dass überhaupt eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über eine Regelung getroffen wurde, die sich auch in der Betriebsvereinbarung wieder findet. Diese Regelung zwischen den Arbeitsvertragsparteien muss darüber hinaus für den Arbeitnehmer „günstiger“ sein als die Regelung in der Betriebsvereinbarung.

Soweit individualrechtliche-/arbeitsvertragliche Regelungen in einem Arbeitsverhältnis mit den Regelungen in einer Betriebsvereinbarung tatsächlich kollidieren, kann nur anhand eines Günstigkeitsvergleichs dieser Regelungen festgestellt werden, ob es bei der normativen Wirkung/Geltung der Betriebsvereinbarung verbleibt oder ob sich die arbeitsvertraglichen Regelungen durchsetzen.

Die Durchführung des Günstigkeitsvergleichs bereitet in vielen Fällen erhebliche Schwierigkeiten. Nach Auffassung in Literatur und Rechtsprechung ist es regelmäßig nicht zulässig, einzelne Regelungen einerseits im Arbeitsvertrag, andererseits in der Betriebsvereinbarung gegenüberzustellen und deren Günstigkeit zu bemessen, es bedarf vielmehr eines Vergleichs der in einem inneren Zusammenhang stehenden Teilkomplexe unterschiedlicher Regelungen; es ist ein Sachgruppenvergleich vorzunehmen (BAG, Urteil vom 27.01.2004, Az. 1 AZR 148/03). Dabei gilt auch, dass gänzlich unterschiedliche Regelungskomplexe nicht miteinander verglichen werden können (z.B. zum einen „höherer Lohn“, zum anderen „abgekürzte Kündigungsfristen“). Auch ist zu beachten, dass der Günstigkeitsvergleich anhand eines objektiven Beurteilungsmaßstabs durch zu führen ist, nicht hingegen nach der subjektiven Betrachtung eines einzelnen Arbeitnehmers.

 

Fazit:

Besteht im Betrieb eine Betriebsvereinbarung, dürfen die betriebsangehörigen Arbeitnehmer zunächst davon ausgehen, dass diese Regelungen für sie verbindlich sind. Daraus resultierende Rechte können unmittelbar in Anspruch genommen werden. Werden diese vom Arbeitgeber verweigert, können Ansprüche gegebenenfalls arbeitsgerichtlich durchgesetzt werden.

Sollte sich allerdings der Fall ergeben, dass eine (möglicherweise nachträglich nach Begründung des Arbeitsverhältnisses geschlossene) Betriebsvereinbarung im Einzelfall zu einer Schmälerung bisher bestehender Rechte führt, bliebe dem Arbeitnehmer lediglich die Berufung auf das vorstehend dargestellte „Günstigkeitsprinzip“. Ob dieses im jeweiligen Fall zur Anwendung gelangt, kann ebenfalls arbeitsgerichtlich entschieden werden.

Wir beraten Sie in diesen Fragestellungen gerne.