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Anzahl der Urlaubstage bei Schichtarbeit – Bundesarbeitsgericht verpflichtet Arbeitgeber zur Anpassung/Erhöhung von Urlaubsansprüchen

 

Jeder Arbeitnehmer hat im Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Dieses unangefochtene Grundprinzip findet sich schon in § 1 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG). Der Gesetzgeber bestimmt auch den Mindestumfang des arbeitgeberseitig im Urlaubsjahr zu gewährenden Urlaubs. Dieser beläuft sich nach § 3 BUrlG auf jährlich mindestens 24 Werktage, wobei als Werktage alle Kalendertage gelten, die nicht Sonn- oder gesetzliche Feiertage sind (Montag bis Samstag). So ist gewährleistet, dass Arbeitnehmer einen Mindestfreistellungsanspruch pro Kalenderjahr im Umfang von 4 Wochen haben (24 Werktage/6 =  4 Urlaubswochen).

Der Bemessung des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs liegt schon gesetzessprachlich das Tagesprinzip zugrunde. Dies folgt der Annahme, dass Arbeitnehmer mehr oder weniger gleichförmig an einer bestimmten Anzahl von Wochentagen arbeiten und die jeweilige Arbeitsphase auf den jeweiligen Tag fällt (Arbeit am Montag, Dienstag, Mittwoch …). Welche Regelungen aber gelten, wenn davon abweichend gearbeitet wird, z.B. im voll kontinuierlichen Wechselschichtmodell?

Letzteres ist dadurch gekennzeichnet, dass Arbeitnehmer die Arbeit in wechselnden Schichten erbringen, deren Lage sich über unterschiedliche Zeiten des Tages erstreckt. Regelmäßig berührt dann die Nachtschicht 2 Kalendertage.

Es stellt sich dann stets die Frage, wie viele Urlaubstage der im voll kontinuierlichen Wechselschichtmodell arbeitende Arbeitnehmer einsetzen muss, um tatsächlich in dem von ihm gewünschten Zeitraum urlaubsbedingt von der Arbeit freigestellt zu werden. Von besonderer Relevanz ist diese Frage für die urlaubsbedingte Freistellung von der tagesübergreifenden Nachtschicht.

Das Bundesarbeitsgericht hat sich in einer jüngeren Entscheidung (BAG, Urteil vom 21.07.2015, Az. 9 AZR 145/14) mit dieser Fragestellung befasst und geurteilt, dass in bestimmten Fallkonstellationen ein Anspruch von Schichtarbeitern auf Anpassung bzw. Erhöhung des vorgesehenen Urlaubsanspruchs besteht.

Die dabei herausgestellten Grundsätze sollen nachstehend näher betrachtet werden:

 

1. Urlaubsregelungen nach dem „Tagesprinzip“ und „Schichtprinzip“

Die im jeweiligen Arbeitsverhältnis zur Anwendung gelangenden Urlaubsregelungen (z.B. in einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder im Arbeitsvertrag) können sich nach dem Tagesprinzip oder dem Schichtprinzip bestimmen.

Eine Urlaubsregelung ist dem Tagesprinzip verpflichtet, wenn sie einen urlaubsbedingten Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers auf der Basis einer konkreten Anzahl von Arbeits- bzw. Werktagen enthält. Hingegen entspricht eine Urlaubsregelung dem Schichtprinzip, wenn dem Arbeitnehmer in der Urlaubsregelung eine bestimmte Anzahl von Freischichten zuerkannt wird.

Folgt die maßgebliche Urlaubsregelung im Arbeitsverhältnis des im Schichtdienst arbeitenden Arbeitnehmers dem Schichtprinzip, ergeben sich keinerlei Probleme bei der Berechnung der Urlaubsdauer des Arbeitnehmers. Dieser hat dann für den von ihm gewünschten Freistellungszeitraum diejenige Anzahl von Freischichten einzusetzen, die in eben diesem Zeitraum anfallen würden. Begehrt der Arbeitnehmer so z.B. einen Sommerurlaub über die Dauer von 14 Kalendertagen und wären für diesen Zeitraum nach dem im Betrieb maßgeblichen Dienstplan 11 Arbeitsschichten geplant, würde der Arbeitnehmer bei urlaubsbedingter Freistellung für diesen Zeitraum 11 „Urlaubsschichten“ einsetzen müssen. Sollte der Arbeitnehmer z.B. einen Jahresurlaubsanspruch von 30 Freischichten haben, würde sich dieser mit der Inanspruchnahme des Sommerurlaubs um 11 Freischichten auf einen Restanspruch von 19 Freischichten reduzieren.

Selbstverständlich muss unter Berücksichtigung dieses Prinzips sichergestellt sein, dass der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr den gesetzlichen Mindesturlaub von 4 freien Wochen realisieren kann.

Probleme bei der Berechnung der Urlaubsdauer des Schichtarbeiters ergeben sich aber dann, wenn die im Arbeitsverhältnis zur Anwendung gelangenden Urlaubsregelung dem Tagesprinzip folgt (Beispiel: Der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers beläuft sich auf 30 Arbeitstage pro Jahr, berechnet auf der Grundlage einer 5-Tage-Woche).

Für Arbeitnehmer, die (auch) in tagesübergreifenden Nachtschichten arbeiten, stellt sich dann die Frage, wie viele Urlaubstage diese Mitarbeiter für den jeweils beantragten Urlaub einsetzen müssten und wie lang damit der jährliche Gesamturlaubsanspruch ist.

 

2. Berechnung des Urlaubsanspruchs im voll kontinuierlichen Wechselschichtmodell bei Urlaubsregelungen nach dem „Tagesprinzip“

Das Bundesarbeitsgericht hat im Urteil vom 21.07.2015 die Prämisse aufgestellt, dass bei der Bestimmung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitstage Arbeiten in einer Nachtschicht, die sich über 2 Kalendertage erstreckt (z.B. Arbeit von 22:00 Uhr des Vortages bis 06:00 Uhr des Folgetages), als solche an 2 Tagen zu rechnen sind.

Würden Arbeitnehmer in der vollkontinuierlichen Wechselschicht unter Berücksichtigung der vorstehenden Prämisse eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Arbeitstagen aufweisen, die über die der Dauer des Urlaubsanspruchs zu Grunde liegenden Berechnungsbasis hinausgeht, soll der nach dem Tagesprinzip festgelegte Urlaubsanspruch der Arbeitnehmer im Verhältnis der tatsächlichen regelmäßigen Arbeitszeit zur Berechnungsbasis der Urlaubsregelung zu erhöhen sein.

Diese kompliziert anmutende Annahme soll anhand des vom Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 21.07.2015 beurteilten Sachverhalts beispielhaft erläutert werden:

Das BAG hatte ein Urteil auf der Grundlage der Urlaubsregelungen des Tarifvertrags für Versorgungsbetriebe im öffentlichen Dienst (TV-V) getroffen. Dabei ist das Gericht davon ausgegangen, dass der TV-V den Arbeitnehmern einen jährlichen Urlaubsanspruch von 30 Tagen, gerechnet auf der Basis einer Arbeit in der 5-Tage-Woche, zuerkennt, und Arbeitnehmer im vollkontinuierlichen Wechselschichtmodell der in diesem Verfahren beklagten Arbeitgeberin regelmäßig Arbeit an mehr als 5 Tagen pro Woche erbringen. Diese Annahme stützte das Gericht gerade darauf, dass Schichtarbeitnehmer in nicht unerheblichem Umfang Nachtschichten zu erbringen haben, die naturgemäß jeweils 2 Kalendertage berührten und nach der oben dargestellten Prämisse des Gerichts als Arbeit an 2 Tagen zu rechnen sind.

Unter Berücksichtigung dieser Annahme ergab sich für den klagenden Arbeitnehmer eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit, die 5,44 Kalender- und damit Arbeitstage berührte. Diese durchschnittliche Arbeitszeit von 5,44 Tagen setzte das Gericht zu der Berechnungsbasis des Urlaubs (5-Tage-Woche) ins Verhältnis und erhöhte den von der Urlaubsregelung vorgesehenen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen pro Jahr auf 32,64 Urlaubstage (30 Urlaubstage/5×5,44), die dann entsprechend § 5 Abs. 2 Bundesurlaubsgesetz auf 33Tage aufgerundet wurden.

Weiteres Beispiel: Die im Arbeitsverhältnis maßgebliche Urlaubsregelung bestimmt sich nach dem Tagesprinzip und sieht einen Urlaubsanspruch von jährlich 28 Tagen, berechnet auf der Basis einer 5-Tage-Woche, vor. Der Arbeitnehmer leistet durchschnittlich 4 Arbeitsschichten pro Woche, davon 2 Nachtschichten. Unter Berücksichtigung der Prämisse, dass die Nachtschichten jeweils 2 Arbeitstage berühren, ergäbe sich bei diesem Schichtmodell eine wöchentliche Arbeitszeit von 6 Tagen (2 Nachtschichten × 2 Tage + 2 Tage).

In einem solchen Fall würde der auf der Basis einer Wochenarbeitszeit von 5 Tagen berechnete Jahresurlaubsanspruch von 28 Tagen nach der Formel (Urlaubstage (28)/5 Tage (Berechnungsbasis des Urlaubs) × 6 Tage (tatsächliche durchschnittliche Wochenarbeitszeit) zu erhöhen sein. Es ergäbe sich dann ein Urlaubsanspruch von 33,6 Tagen pro Jahr, aufgerundet auf 34 Tage!

Achtung: Allerdings ist bei einer solchen Anpassung/Erhöhung des Jahresurlaubsanspruchs zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer dann, wenn er für die Zeit einer vorgesehenen Nachtschicht Urlaub in Anspruch nehmen möchte, auch tatsächlich 2 Tage des erhöhten Urlaubsanspruchs einsetzen muss.

 

3. Urlaubsentgelt bei erhöhtem Urlaubsanspruch

Entsprechend § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG bemisst sich das Urlaubsentgelt nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, den der Arbeitnehmer in den letzten 13 Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat. Zur Bestimmung der Höhe des Urlaubsentgelts ist mithin der Gesamtverdienst zu errechnen, der in dem Referenzzeitraum von 3 Monaten (13 Wochen) vor Urlaubsantritt erzielt worden ist. Dieser Gesamtverdienst ist durch die Anzahl der regelmäßigen Arbeitstage zu teilen. Daraus ergibt sich der tägliche Durchschnittsverdienst. Dieser wiederum ist mit der Anzahl der Urlaubstage zu multiplizieren.

Dabei ist die Division des Referenzzeitraums (13 Wochen) durch die Anzahl der Arbeitstage in der Weise vorzunehmen, dass durch die Anzahl der von den Arbeitsschichten berührten Kalendertage geteilt wird. Je mehr Kalendertage von den wöchentlichen Arbeitsschichten berührt sind, desto größer wird der Divisor.

Im vom BAG im Urteil vom 21.07.2015 zu beurteilenden Fall berührten die wirklichen Arbeitsschichten durchschnittlich 5,44 Kalendertage pro Woche. Der Quartalsverdienst wäre mithin durch 70,72 zu teilen (13 Wochen × 5,44 Tage). Bei Annahme einer wöchentlichen Anzahl von lediglich 5 Arbeitstagen ergäbe sich nur ein Teiler von 65 (13 Wochen × 5 Tage).

 

Fazit:

Werden Arbeitnehmer in Nachtschichten beschäftigt, die jeweils 2 Kalendertage berühren, kommt eine Anpassung/Erhöhung des Jahresurlaubsanspruchs in Betracht, wenn die im Arbeitsverhältnis maßgebliche Urlaubsregelung eine bestimmte Anzahl von Urlaubstagen nach dem „Tagesprinzip“ vorsieht und die durchschnittliche Anzahl der vom Schichtarbeitnehmer berührten wöchentlichen Arbeitstage von der Berechnungsbasis des Urlaubsanspruchs abweicht.

Werden Schichtarbeitnehmern allerdings Urlaubsansprüche nach dem „Schichtprinzip“ zuerkannt, scheiden Urlaubsanpassungen aus.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden jeweils im Einzelfall zu prüfen haben, welchem Prinzip die im Betrieb zur Anwendung gebrachte Urlaubsregelung folgt und ob sich möglicherweise weitere Urlaubsansprüche für Arbeitnehmer ergeben. Sollten weitere Ansprüche zu errechnen sein, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass Arbeitnehmer auch tatsächlich umfangreichere Freistellungsansprüche gegen den Arbeitgeber erwerben oder aber höhere Urlaubsentgeltansprüche entstehen. Vielfach werden Urlaubsanpassungen als bloße „Zahlenspielerei“ zu begreifen sein, ohne dass sich für Arbeitnehmer oder den Arbeitgeber tatsächlich Vor- bzw. Nachteile ergeben.

Wir beraten und unterstützen Sie in dieser vergleichsweise komplizierten Materie gerne.