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Durchgängige Krankheit/Arbeitsunfähigkeit im Arbeitsverhältnis bei wechselnden Erkrankungen und ärztlichen Erstbescheinigungen – wie lange muss der Arbeitgeber Entgeltfortzahlung an den Arbeitnehmer leisten?

Dass Arbeitnehmer bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen gegen den Arbeitgeber haben, ist ebenso allgemein bekannt wie der gesetzliche Umstand, dass bei Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit über den 6-Wochenzeitraum hinaus wegen derselben Krankheit zunächst keine weiteren Ansprüche des Arbeitnehmers entstehen.

Wie verhält es sich aber, wenn der Arbeitnehmer zwar durchgängig arbeitsunfähig ist, dies aber auf der Grundlage unterschiedlicher Erkrankungen?

In zahlreichen Personalabteilungen herrscht die Auffassung vor, dass immer dann, wenn der Arbeitnehmer eine neue „Erstbescheinigung“ des behandelnden/untersuchenden Arztes über eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorlegt, für einen Zeitraum von bis zu sechs Wochen abermals Entgeltfortzahlung zu bewirken ist. Hierbei handelt es sich aber vielfach um einen Irrglauben, der häufig von den Krankenkassen geschürt und den Arbeitgeber teuer zu stehen kommt. In zahlreichen Fällen werden hier Leistungen an Arbeitnehmer erbracht, die gesetzlich nicht begründet sind.

Hier ist folgendes zu beachten:

1. Was gilt bei längerer Arbeitsunfähigkeit aufgrund derselben Krankheit (ggf. mit Unterbrechung)?

Gemäß § 3 Abs. 1 EfzG hat der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Dauer von sechs Wochen, wenn der Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden daran trifft.

Grundsätzlich läuft der Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers nach 42 Kalendertagen aus. Wird der Arbeitnehmer infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig, löst diese Arbeitsunfähigkeit zunächst keinen erneuten Anspruch auf Entgeltfortzahlungsleistungen aus. Gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 EfzG verliert der Arbeitnehmer wegen einer erneuten Arbeitsunfähigkeit einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für einen weiteren Zeitraum von höchsten sechs Wochen dann nicht, wenn er infolge derselben Krankheit nach zwischenzeitlicher Genesung erneut arbeitsunfähig wird, wenn

– er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder

– seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist.

Bei Eintritt erneuter Arbeitsunfähigkeit aufgrund der zuvor bestandenen Erkrankung setzt ein Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers mithin voraus, dass dieser zwischen den Krankheitsphasen mindestens sechs Monate arbeitsfähig war (Variante 1) oder zwischen Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit und dem Eintritt der weiteren Arbeitsunfähigkeit aufgrund derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist (Variante 2). Auch bei der Variante 2 kommt es aber maßgeblich darauf an, dass der Arbeitnehmer zwischenzeitlich wieder arbeitsfähig geworden war. Anderenfalls wäre er nicht „erneut“ im Sinne von § 3 Abs. 1 S. 2 EfzG arbeitsunfähig geworden, vielmehr arbeitsunfähig geblieben.

2. Was gilt bei längerer und durchgehender Arbeitsunfähigkeit aufgrund verschiedener Erkrankungen bzw. bei untauglichem Arbeitsversuch?

Andere Regeln gelten, wenn der Arbeitnehmer wiederholt arbeitsunfähig erkrankt, die Arbeitsunfähigkeitszeiten aber auf verschiedene Erkrankungen zurückzuführen sind:

Ist der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt und tritt die Arbeitsfähigkeit dann wieder ein, besteht bei erneuter Arbeitsunfähigkeit aufgrund anderer Erkrankung auch dann sofort wieder ein Entgeltfortzahlungsanspruch gemäß § 3 Abs. 1 EFZG, wenn der Arbeitnehmer zwischen den Erkrankungen weniger als sechs Monate arbeitsfähig war oder zwischen Beginn der ersten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und Eintritt einer erneuten Arbeitsunfähigkeit (aufgrund anderer Erkrankung) weniger als zwölf Monate liegen.

Allerdings sind diese Regelungen nicht anzuwenden, wenn der Arbeitnehmer durchgängig auch aufgrund unterschiedlicher Erkrankungen arbeitsunfähig ist:

a) Grundsatz der „Einheit des Verhinderungsfalles“

Nach der aktuell erneut bestätigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entsteht kein erneuter Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn die weitere und auf anderen Ursachen fußende Arbeitsunfähigkeit noch während der laufenden Arbeitsunfähigkeit eintritt (Überlappung von zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankungen). Nach Auffassung des Gerichts sei von der „Einheit des Verhinderungsfalles„ auszugehen. Träten Erkrankungen gleichzeitig auf oder überlappten sich die Krankheitszeiträume, lösten sie unabhängig von dem Grund der Erkrankung nur einmal einen Entgeltfortzahlungsanspruch für 42 Kalendertage aus (BAG, Urteil vom 25.05.2016, Az. 5 AZR 318/15; BAG, Urteil vom 02.02.1994, Az. 5 AZR 345/93; BAG, Urteil vom 02.12.1981, Az. 5 AZR 89/80; BAG, Urteil vom 25.05.2016, Az. 5 AZR 318/15; Urteil vom 10.09.2014, Az. 10 AZR 651/12).

Liegen also aufeinanderfolgend Arbeitsunfähigkeiten des Arbeitnehmers wegen Krankheit vor und beruhen diese Ausfallzeiten jeweils auf unterschiedlichen Erkrankungen, kommt es für die Zuerkennung eines erneuten Anspruchs auf Entgeltfortzahlung maßgeblich darauf an, dass der

Arbeitnehmer zwischen den Arbeitsunfähigkeitszeiten arbeitsfähig geworden ist. Ausreichend ist, dass eine vergleichsweise kurze Arbeitsfähigkeit eingetreten ist, so z.B. an einem Wochenende.

b) „untauglicher Arbeitsversuch“

Arbeitet ein Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheitsperioden tatsächlich, ist dies ein deutliches Zeichen dafür, dass zwischenzeitlich wieder Arbeitsfähigkeit eingetreten ist. Allerdings gilt dies nicht in Fällen des so genannten „untauglichen Arbeitsversuchs“. Von einem solchen untauglichen Arbeitsversuch ist dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer auch zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Arbeit tatsächlich weiter krankheitsbedingt arbeitsunfähig war.

Ein untauglicher Arbeitsversuch liegt insbesondere dann vor, wenn sich der Arbeitnehmer hinsichtlich seiner Arbeitsfähigkeit verschätzt hat, die Arbeit wieder aufnimmt, aber dann schnell feststellt, dass die Arbeitsleistung nicht oder nur unzureichend erbracht werden kann.

Sollten also Mitarbeiter nach Auslaufen der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Arbeit wieder antreten, diese aber sehr schnell wegen erneut aufgetretener Schmerzen etc. wieder verlassen, besteht durchaus Anlass für die Annahme, dass trotz des Arbeitsversuchs keine Arbeitsfähigkeit wiederhergestellt war. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank, wenn ein Krankheitsgeschehen ihn außer Stande setzt, die ihm nach dem Arbeitsvertrag obliegende Arbeit zu verrichten, oder wenn er die Arbeit nur unter der Gefahr fortsetzen könnte, in absehbarer Zeit seinen Zustand zu verschlimmern. Dazu gehören auch Fälle, in denen der Arbeitnehmer infolge seiner Krankheit nur unter Bedingungen arbeiten kann, die ihm vernünftigerweise auf Dauer nicht zuzumuten sind. Bei solchen unzumutbaren Behinderungen ist der Arbeitnehmer nach Meinung des Bundesarbeitsgerichts nicht im Stande, die geschuldete Arbeitsleistung zu verrichten (BAG, Urteil vom 14.01.1972, Az: 5 AZR 264/71; BAG, Urteil vom 01.06.1983, Az. 5 AZR 468/80).

Bricht ein Arbeitnehmer die Arbeit/einen Arbeitsversuch nach kurzer Zeit wegen Schmerzen etc. wieder ab, wird regelmäßig ein „untauglicher Arbeitsversuch“ vorliegen. Dieser unterbricht die Arbeitsunfähigkeit nicht. Es entstehen dann keine neuen Entgeltfortzahlungsansprüche.

Sollten deutliche Anhaltspunkte für eine Fortdauer der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit trotz (regelmäßig kurzfristiger) Arbeitsaufnahme bestehen, könnten weitere Entgeltfortzahlungsleistungen gegenüber dem Arbeitnehmer verweigert werden.

3. Beweislast trägt Arbeitnehmer

Häufig besteht Streit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über das Bestehen der Voraussetzungen für einen Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall. Problematisch sind dabei regelmäßig diejenigen Fälle, in denen der Arbeitnehmer behauptet, die Arbeitsunfähigkeit habe nur bis zum Freitag bestanden, am Wochenende sei die Arbeitsfähigkeit wieder hergestellt gewesen, am folgenden Montag habe sich dann eine neue Erkrankung mit eigener Ursache ergeben. Ähnliche Fragen ergeben sich regelmäßig in der Konstellation einer ärztlicherseits bestätigten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, die dann unmittelbar von einem (Kurz-) Urlaub abgelöst wird, an den sich dann erneute Arbeitsunfähigkeit anschließt.

Hier wird in vielen Fällen die Vermutung naheliegen bzw. gar berechtigt sein, dass tatsächlich eine durchgängige Arbeitsunfähigkeit bestand, möglicherweise auch bei überlappenden Erkrankungen.

Das Bundesarbeitsgericht hat in einer jüngeren Entscheidung ausdrücklich herausgestellt, dass der Arbeitnehmer für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG darlegungs- und beweisbelastet ist. Ebenso wie er für die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit als solcher beweispflichtig ist, trifft ihn auch die objektive Beweislast für deren Beginn und Ende.

Zwar soll sich der Arbeitnehmer hinsichtlich der Darlegung und des Nachweises von Beginn und Ende einer Arbeitsunfähigkeit zunächst auf die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stützen dürfen. Bringt der Arbeitgeber aber gewichtige Indizien vor, die gegen die Angaben in der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sprechen, ist tatsächlich der Beweis der anspruchsbegründenden Tatsache vonnöten, den der Arbeitnehmer zu erbringen hat (BAG, Urteil vom 25.05.2016, Az. 5 AZR 318/15).

Behauptet also der Arbeitnehmer z.B. die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zwischen zwei Krankheitsphasen über einen vergleichsweise kurzen Zeitraum und verfügt der Arbeitgeber über Informationen, die dieser Behauptung entgegenstehen, reicht es für den Arbeitnehmer nicht aus, sich auf die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu berufen. Er muss den vollen Beweis erbringen, gegebenenfalls durch Vernehmung des behandelnden Arztes als Zeugen oder Einholung eines Sachverständigengutachtens. Kann der nötige Beweis dann nicht geführt werden, bleibt vielmehr die vom Arbeitnehmer behauptete Tatsache fraglich, geht dies zu Lasten des Arbeitnehmers. Der geltend gemachte Anspruch wird ihm arbeitsgerichtlich versagt.

4. Fazit:

Sollte ein Arbeitnehmer länger als sechs Wochen durchgängig arbeitsunfähig erkrankt sein, aber wechselnde Erkrankungen im Rahmen von „Erstbescheinigungen“ des Arztes anzeigen, besteht regelmäßig keine Verpflichtung für den Arbeitgeber, nach Ablauf von sechs Wochen weiter Entgeltfortzahlung zu leisten. Nur dann, wenn der Arbeitnehmer, wenn auch nur kurzzeitig, zwischen verschiedenen Erkrankungen wieder arbeitsfähig geworden ist, kommen Entgeltfortzahlungsansprüche in Betracht. Allerdings ist dann sorgfältig zu prüfen, ob nicht möglicherweise zwischen zwei Arbeitsunfähigkeitsperioden lediglich ein „untauglicher Arbeitsversuch“ stattgefunden hat, der Arbeitnehmer in Wirklichkeit weiter arbeitsunfähig krank war. Auch in einem solchen Fall würden Verpflichtungen zur Entgeltfortzahlung wegfallen.

Sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass Arbeitnehmern zu Unrecht Entgeltfortzahlung geleistet wurde, kommt die Rückforderung überzahlter Beträge in Betracht. Allerdings sind dann etwaige arbeitsvertragliche oder tarifvertragliche Ausschlussfristen ebenso zu beachten wie die gesetzliche Verjährungsfrist von drei Jahren! Sollten Krankenkassen falsche Auskünfte erteilen, wäre zu prüfen, inwieweit hier Regress genommen werden kann.

In diesen Themen stehen wir Ihnen gerne beratend zur Seite.