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Bezahlung von Mehrarbeit/Überstunden – neue Spielregeln des Bundesarbeitsgerichts:

 

Die gesetzliche höchstzulässige Arbeitszeit beläuft sich in Arbeitsverhältnissen auf 48 Stunden pro Woche, vorrübergehend kann eine Anhebung auf bis zu 60 Stunden pro Woche erfolgen. Dies folgt aus § 3 des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG), wonach die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer 8 Stunden nicht überschreiten darf; als Werktage gelten alle Wochentage, die nicht Sonn- oder Feiertag sind.

 

Die weit überwiegende Zahl der in Deutschland geschlossenen Arbeitsverträge enthält eine Festlegung hinsichtlich des arbeitnehmerseitig geschuldeten Umfangs der wöchentlichen Arbeitszeit. Üblicherweise wird dabei eine Beschäftigung im Umfang von 35 bis 40 Stunden pro Woche als Vollzeitbeschäftigung angesehen.

 

Ebenso üblich ist die in Arbeitsverträgen bzw. Tarifverträgen geregelte Verpflichtung von Arbeitnehmern, im erforderlichen Umfang auch Mehrarbeit/Überstunden zu leisten. Die Abgeltung solcher Mehrleistungen ist Gegenstand zahlreicher Klageverfahren bei den Arbeitsgerichten.

 

1. vertraglicher Ausschluss von Überstundenabgeltung ist regelmäßig unwirksam

 

Noch immer ist die arbeitsvertragliche Klausel gebräuchlich, wonach mit der regelmäßigen Vergütung/dem Gehalt sämtliche Mehrarbeit als abgegolten zu betrachten ist. Solche Klauseln sind naturgemäß für den Arbeitnehmer problematisch. Dies gilt insbesondere dann, wenn in der Vertragsregelung nicht festgehalten ist, welchen höchstzulässigen Umfang die mitabgegoltene Mehrarbeitszeit haben kann.

 

Insbesondere bei Teilzeitkräften ist es nach derartigen Klauseln durchaus möglich, dass mehr als das Zweifache der vereinbarten Arbeitszeit geleistet werden muss, ohne dass hierfür zusätzliche Vergütung gezahlt wird.

 

Pauschale Mehrarbeitsabgeltungsklauseln dürften vielfach schon als sittenwidrig im Sinne von § 138 BGB zu begreifen sein. Besonderheiten gelten, wenn sich derlei Klauseln in Formulararbeitsverträgen finden, die einseitig vom Arbeitgeber vorgegeben werden. Werden Vertragsbedingungen durch eine Vertragspartei in der Weise vorformuliert, dass die andere Partei keine „echte“ Möglichkeit der Einflussnahme darauf hat, handelt es sich um sog. Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305 ff. BGB. Solche Klauseln bergen in besonderem Maße die Gefahr der Benachteiligung der anderen Partei. Aus diesem Grund unterfallen sie engen rechtlichen Schranken.

 

So erklärt auch das Bundesarbeitsgericht regelmäßig Klauseln in Formulararbeitsverträgen für unwirksam, die eine Pauschalabgeltung der Mehrarbeit/Überstunden mit dem vereinbarten Gehalt vorsehen.  Das Gericht stellte klar, dass derart weitgehende Klauseln nicht hinreichend klar und verständlich sind und daher gegen Gesetzesrecht (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) verstoßen (BAG, Urteil vom 16.05.2012, Az: 5 AZR 347/11; BAG, Urteil vom 27.06.2012, Az: 5 AZR 530/11). Aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts sind solche Vertragsregelungen nur dann klar und verständlich und damit rechtswirksam, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag selbst ergibt, welche Arbeitsleistungen in welchem zeitlichen Umfang von ihr erfasst werden sollen. Ist dies nicht der Fall, werden die Klauseln durchweg für unwirksam erachtet. Dem Arbeitgeber ist es verwehrt, sich darauf zu berufen (BAG, Urteil vom 17.08.2011, Az: 5 AZR 406/10).

 

2. Abgeltungsanspruch bei entsprechender „Vergütungserwartung“

 

In der jüngeren Rechtsprechung leitet das Bundesarbeitsgericht etwaige Überstundenabgeltungssprüche aus § 612 Abs. 1 BGB her. Entsprechend dieser Norm gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist (Vergütungserwartung des Arbeitnehmers).

Die Gerichte prüfen insoweit, ob eine objektive Vergütungserwartung für geleistete Mehrarbeit in dem in Rede stehenden Arbeitsverhältnis besteht. Ausdrücklich wird ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, dass jede Mehrarbeitszeit oder jede dienstliche Anwesenheit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu vergüten ist, vom BAG abgelehnt. Ob eine Vergütungserwartung besteht, soll anhand eines objektiven Maßstabes unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfang und der Dauer der Dienstleistung sowie der Stellung der Beteiligten zueinander festzustellen sein, ohne das es auf deren persönliche Meinung ankomme.

 

Regelmäßig bejahen die Arbeitsgerichte eine solche Vergütungserwartung bei Mehrarbeit in „normalen“ Arbeitsverhältnissen. Besonderheiten sollen für Arbeitsverhältnisse gelten, die die Leistung höherer Dienste zum Gegenstand haben oder bei leistungsorientierten Vergütungsmodellen (BAG, Urteil vom 17.08.2011, Az: 5 AZR 406/10).

 

Trotz der Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts sollte immer im Einzelfall eine Prüfung des Arbeitsvertrags und weiterer Umstände im Arbeitsverhältnis erfolgen, um eine rechtlich und tatsächlich fundierte Einschätzung zum Bestehen von Überstundenabgeltungsansprüchen vornehmen zu können. Soweit Arbeitnehmer mit der vereinbarten regelmäßigen Arbeitsvergütung die Beitragsbemessungsgrenzen in der Sozialversicherung nicht überschreiten, wird regelmäßig von einer Vergütungserwartung für geleistete Mehrarbeit auszugehen sein!

 

3. Durchsetzung von Überstundenabgeltungsansprüchen im Klageweg

 

Verlangt der Arbeitnehmer Arbeitsvergütung für geleistete Mehrarbeit/Überstunden, muss er darlegen und im Falle des Bestreitens durch den Arbeitgeber auch beweisen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang verrichtet hat. Dabei hat der Arbeitgeber vorzubringen, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat. Der Arbeitgeber darf sich dann nicht darauf beschränken, diese Behauptungen des Arbeitnehmers pauschal zu bestreiten. Er muss dann substantiiert erwidern und im Einzelnen vortragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen – nicht – nachgekommen ist (BAG, Urteil vom 16.05.2012, Az: 5 AZR 347/11).

Häufig gelingt es Arbeitnehmern lediglich vorzutragen, dass sie sich zu bestimmten Zeiten im Betrieb aufgehalten haben. Ein solcher Nachweis kann z.B. dadurch gelingen, dass Arbeitszeiterfassungen vorgelegt werden.

 

In einigen jüngeren gerichtlichen Entscheidungen ist geurteilt worden, die Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb begründe die Vermutung, dass diese Anwesenheit auch jeweils notwendig gewesen sei (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.09.2012, Az: 15 TA 1766/12). Dem Arbeitgeber sei auch verwehrt sich darauf zu berufen, er habe die fraglichen Anwesenheitszeiten nicht gekannt, wenn eben diese Anwesenheitszeiten in vom Arbeitgeber selber geführten Aufstellungen (z.B. Zeiterfassungsjournal) dokumentiert seien (LAG Berlin, Urteil vom 02.11.2012, Az: 28 Ca 13586/12).

 

4. Praxishinweise

 

Vor dem Hintergrund der oben skizzierten Problematiken der Überstundenabgeltung sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer besondere Sorgfalt auf die Abfassung des Arbeitsvertrags legen. Insbesondere ist Sorge dafür zu tragen, dass der Vertrag auch hinsichtlich der Arbeitszeit und einer etwaigen Mehrarbeitsverpflichtung und -abgeltung hinreichend klar formuliert wird.

In einem (arbeitsgerichtlichen) Streit um das Bestehen von Überstundenabgeltungsansprüchen ist der jeweilige Sachverhalt sowohl aus Arbeitnehmer- als auch aus Arbeitgebersicht im Detail zu prüfen, um hier auf einen erfolgreichen Ausgang des Rechtsstreits hinwirken zu können.

 

Wir unterstützen Sie in diesen Fragestellungen gerne.