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Arbeitszeit, Anfahrtszeit, Lenkzeit bei Kraftfahrern – welche Zeiten sind erlaubt und zu vergüten?

Gerade bei Berufskraftfahrern ist die Arbeitszeit von besonderer Bedeutung. Zunächst haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer in diesem Beschäftigungsbereich eine Vielzahl von Regelungen zur höchstzulässigen Arbeits- bzw. zur Lenkzeit zu beachten. Die Überschreitung solcher Regelungen ist bußgeld- bzw. strafbewehrt. Des Weiteren stellt sich immer wieder die Frage, welche Zeiten, die der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit seiner Arbeitstätigkeit aufwendet, auch tatsächlich zu vergüten sind.

Grundsätzlich gilt, dass die Frage nach dem Bestehen eines Anspruchs auf Arbeitsvergütung unabhängig von der Frage der höchstzulässigen Arbeitszeiten zu beantworten ist. Grundsätzlich ist auch „unerlaubte“ Arbeitszeit zu vergüten. Auch die Begriffe „Arbeitszeit“ und „Lenkzeit“ sind voneinander zu trennen. Die typischerweise in einem Speditionsunternehmen anfallenden Tätigkeiten sind hinsichtlich des Vorliegens von Arbeitszeit und Lenkzeit oftmals unterschiedlich zu beurteilen. So gibt es zahlreiche Tätigkeiten, die zwar Arbeitszeit, aber keine Lenkzeit sind. Beispielhaft sei hier die Überwachung des Be- und Entladevorgangs eines LKWs zu nennen.

Auch ist nicht jede Tätigkeit, die als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) zu bewerten ist, auch vergütungspflichtig.

Nachstehend sollen einige wiederkehrend gestellte Fragen im Zusammenhang mit der Arbeitszeitgestaltung und Arbeitsvergütung bei Kraftfahrern beleuchtet werden:

 

1. Anfahrtszeit als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG)

Regelmäßig wird die Frage aufgeworfen, ob die Anfahrtszeiten von Arbeitnehmern von deren Wohnort zum Betrieb Arbeitszeit im Sinne des ArbZG darstellt. Dies hätte zur Folge, dass die Anfahrtszeiten bei der Bemessung der höchstzulässigen Arbeitszeit zu berücksichtigen wären.

Nach allgemeiner Auffassung unterfallen solche Zeiten der Anfahrt vom Wohnort des Mitarbeiters zu der Betriebsstätte nicht dem ArbZG. Grundsätzlich ist die tägliche Anreise des Arbeitnehmers zum Betrieb keine Arbeitszeit und muss daher nicht im Rahmen arbeitszeitrechtlicher Ordnungsvorgaben berücksichtigt werden. Gleiches gilt auch für die Fahrt von Betrieb zurück zum Wohnort.

Allerdings findet unter engen Voraussetzungen ausnahmsweise eine Anrechnung solcher An-und Abfahrtzeiten als Arbeitszeit im Sinne der Regelungen zur zulässigen Höchstarbeitszeit statt. Diese Ausnahme ist in Art. 9 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des europäischen Parlaments und des Rates vom 15.03.2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr geregelt.

Voraussetzung für die Ausnahmeregelung ist, dass der Fahrer

– mit einem Fahrzeug, das nicht unter die Verordnung fällt,

– zu seinem Arbeitsfahrzeug, für welches die Verordnung gilt, an- oder abreist und

– sich dieses Fahrzeug weder am Wohnort des Mitarbeiters, noch in der Betriebsstätte befindet.

Denkbar sind in dieser Konstellation zwei Fälle:

Zum einen ist es möglich, dass der Mitarbeiter von der Betriebsstätte mit seinem privaten Pkw zu dem Lkw fährt, auf dem er eingesetzt wird und sich dieser außerhalb des Betriebes befindet. Unter diesen Voraussetzungen stellt sich der Anfahrtsweg zu dem Lkw als Arbeitszeit im Sinne des ArbZG dar. Diese Zeiten sind also bei der Bemessung der höchstzulässigen Arbeitszeit zu berücksichtigen.

Zum anderen ist es denkbar, dass der Mitarbeiter von seiner Wohnung mit seinem privaten Pkw direkt zu dem Lkw fährt, auf dem er eingesetzt werden soll und sich dieser Lkw außerhalb der Betriebsstätte befindet. In diesem Fall stellt sich diese Anfahrtszeit ebenfalls als Arbeitszeit dar. Allerdings muss sich der Arbeitnehmer dann von der Anreisezeit ab Wohnung zum auswärtigen Arbeitsplatz diejenige Zeit abziehen lassen, die er normalerweise für den Weg zum Betrieb benötigt hätte (BAG, Urteil vom 08.12.1960, Az. 5 AZR 304/58; BAG, Urteil vom 28.06.1960, Az. 1 AZR 421/58).

 

2. Anfahrtszeiten als zu vergütende Arbeitszeit

Das Vorliegen von Arbeitszeit im Sinne des ArbZG führt nicht automatisch dazu, dass diese auch zu vergüten ist. Daher ist stets gesondert zu prüfen, wann in den oben genannten Konstellationen die Arbeitsleistung auch zu einer Vergütungspflicht führt.

Nach ständiger Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist die tägliche An- und Abfahrt des Arbeitnehmers von seinem Wohnort zur Betriebsstätte nicht vergütungspflichtig (BAG, Urteil vom  21.12.2006, Az. 6 AZR 341/06; LAG Hamm, Urteil vom 15.12.2011, Az. 11 Sa 1107/11).

Im Normalfall, der Anfahrt von der Wohnung zum Betrieb, sind An- und Abfahrtszeiten also nicht zu vergüten. Anders stellt sich die Situation nur in den oben dargestellten Sonderkonstellationen dar.

Ist der Arbeitnehmer also gehalten, vom Betrieb zu einem auswärtig abgestellten Lkw zu fahren, ist die dafür aufgewandte Zeit regelmäßig zu vergüten. Fährt der Arbeitnehmer hingegen von seinem Wohnort unmittelbar zum außerhalb der Betriebsstätte abgestellten Lkw, muss er sich die Zeit anrechnen lassen, die er sonst aufgewandt hätte, um zur Betriebsstätte zu fahren. Nur die zeitliche Differenz, welche sich aus der Berechnung ergibt, kann dann vergütungspflichtig sein.

 

3. Anfahrtszeiten als Lenkzeiten

Weiter ist zu erörtern, ob die tägliche Anfahrtszeit zur Betriebsstätte auf die höchstzulässige Lenkzeit anzurechnen ist. Diesbezüglich gilt folgendes:

Bei dem Regelfall der täglichen An- bzw. Abfahrt zur Betriebsstätte handelt es sich zwar um eine Beschäftigung des Mitarbeiters, die mit dem Führen eines Fahrzeugs verbunden ist. Allerdings wird diese Fahrt typischerweise nicht mit einem Fahrzeug vorgenommen, für welches die Verordnung über höchstzulässige Lenkzeit gilt. Daher sind bei der Fahrt mit einem solchen Fahrzeug die Lenk- und Ruhezeiten der Verordnung nicht zu berücksichtigen. Die gewöhnlichen An- und Abfahrtszeiten zur Betriebsstätte sind also keine Lenkzeit im Sinne der Verordnung. Dementsprechend muss auch keine Anrechnung auf die höchstzulässige Lenkzeit zu erfolgen.

Auch die Fahrt in den oben dargestellten Sonderfällen, in denen der Mitarbeiter entweder von seiner Wohnung oder von der Betriebsstätte mit einem Fahrzeug, welches nicht unter die Verordnung fällt, zu einem auswärtig abgestellten Lkw fährt, stellt keine Lenkzeit dar. Dies hat der europäische Gerichtshof zwischenzeitlich bestätigt (EuGH, Urteil vom 18.01.2001, Az. C 297/99).

Der EuGH führt hierzu aus, dass sich zwar auch diese Fahrzeiten auf die Aufmerksamkeit und Konzentration des Fahrers auswirken können, die Verordnung diese Zeiten aber dennoch nicht als Lenkzeiten ansieht. Eine andere Beurteilung käme demnach nur nach einer entsprechenden Veränderung der Verordnung in Betracht.

Bislang hat es keine solche Veränderung der Verordnung gegeben, so dass nach wie vor Zeiten der An- und Abreise (auch zu Zielen außerhalb der Betriebsstätte) keine Lenkzeiten darstellen.

Diese Zeiten müssen aber gemäß Art. 6 Abs. 5 der Verordnung (EG) 561/2006 als „andere Arbeiten“ festgehalten werden. Die Dokumentation kann dabei entweder handschriftlich auf einem Schaublatt oder einem Ausdruck eingetragen oder manuell in das Kontrollgerät eingegeben werden.

 

4. Fazit

Bei der Fahrt von Mitarbeitern von ihrem Wohnort zum Betrieb handelt es sich regelmäßig nicht um Arbeitszeit im Sinne arbeitszeitrechtlicher Ordnungsvorschriften. Diese Anfahrtszeiten sind darüber hinaus auch nicht zu vergüten. Des Weiteren sind sie auch nicht im Rahmen der höchstzulässigen Lenkzeit zu berücksichtigen.

Insgesamt gilt, dass das Arbeitszeit- und Vergütungsrecht in der Kraftfahrbranche eine besondere Komplexität aufweist. Hier ist es besonders zu empfehlen, die Arbeitsverträge sorgsam zu gestalten und relevante Arbeits- und Lenkzeiten zu dokumentieren. In diesen Fragestellungen beraten Sie gerne.