Dr. Gloistein & Partner

News

Rechtsinfos und aktuelle Beiträge

Die Frage nach einer Schwerbehinderung im Vorstellungsgespräch – Was müssen Arbeitnehmer und Arbeitgeber beachten?

Im Zusammenhang mit der (Neu-)Besetzung eines Arbeitsplatzes entspricht es den Üblichkeiten, dass die einzelnen Bewerber um den Arbeitsplatz Fragen zu ihren persönlichen Umständen gestellt bekommen bzw. Personalfragebögen auszufüllen haben. Häufig wird danach gefragt, ob Schwerbehinderung besteht bzw. ein Grad der Behinderung zuerkannt wurde.

 

Derlei Fragen liegt grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der Arbeitgeber zugrunde, Klarheit über die persönliche Situation eines etwaigen neuen Arbeitnehmers zu haben. Die Schwerbehinderteneigenschaft eines neuen Mitarbeiters hat nämlich durchaus Auswirkungen auf betriebliche Belange. Hier ist zum Beispiel auf die Ausgleichsabgabenpflicht des Arbeitgebers entsprechend § 77 SGB IX abzustellen: Solange Arbeitgeber die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen nicht beschäftigen, haben Sie nach § 77 Abs. 1 SGB IX für jeden unbesetzten Pflichtarbeitsplatz für schwerbehinderte Menschen ein Ausgleichsabgabe zu zahlen. Diese Ausgleichsabgabe ist in Ihrer Höhe nicht unerheblich. Sie verändert sich regelmäßig jährlich entsprechend der Bezugsgrößenregelung in § 18 Abs. 1 SGB IV.

Mit jeder Einstellung eines schwerbehinderten Menschen mindert der ausgleichsabgabenpflichtige Arbeitgeber seine Abgabenlast. Dieser Effekt tritt indes nicht ein, wenn der Arbeitgeber keinerlei Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft eines Arbeitnehmers hat, sodass hier durchaus ein gewichtiges Informationsinteresse des Arbeitgebers hinsichtlich einer etwaigen Schwerbehinderteneigenschaft anzuerkennen ist.

Andererseits empfinden viele Arbeitgeber eine Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen als besonders belastend, da hier z.B. ein Schwerbehindertenurlaub im Umfang von jährlich fünf Tagen zu gewähren ist (§ 125 SGB IX). Darüber hinaus genießen schwerbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 bzw. einem Grad der Behinderung von 30 und einer durch die Bundesagentur für Arbeit erklärten Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen Sonderkündigungsschutz entsprechend § 85 ff. SGB IX. Die Kündigung dieses Personenkreises außerhalb der gesetzlichen Probezeit von sechs Monaten bedarf der Zustimmung des Integrationsamtes.

Viele Arbeitnehmer haben daher die zum Teil nicht unberechtigte Befürchtung, bei wahrheitsgemäßer Mitteilung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht eingestellt zu werden. Es besteht reale Angst vor Diskriminierungen, obgleich eine solche wegen einer Behinderung nach § 1 AGG ausdrücklich untersagt ist.

In dem Spannungsfeld von berechtigtem Arbeitgeberinteresse an der Information über die Schwerbehinderteneigenschaft einerseits und Diskriminierungsbefürchtungen von Arbeitnehmern andererseits ist die Frage zu beantworten, inwieweit der Arbeitnehmer im Rahmen der Anbahnung des Arbeitsverhältnisses verpflichtet ist, auf eine Schwerbehinderteneigenschaft hinzuweisen bzw. die Frage danach wahrheitsgemäß zu beantworten. Hier gilt Folgendes:

 

1. Aufklärungspflicht des Arbeitnehmers

Der Arbeitnehmer hat grundsätzlich keine Verpflichtung, von sich aus im Rahmen eines Vorstellungsgesprächs oder in sonstiger Weise im Zuge der Anbahnung des Arbeitsverhältnisses auf eine bestehende Schwerbehinderung hinzuweisen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese Schwerbehinderung per se keine Auswirkung auf die Eignung des Arbeitnehmers für den zu besetzenden Arbeitsplatz hat.

Klärt der Arbeitnehmer nicht von sich aus über eine etwaige Schwerbehinderung auf, können sich für ihn daraus zukünftig keine Nachteile ergeben. Insbesondere ist der Arbeitgeber daran gehindert, das Arbeitsverhältnis nach dessen Begründung wegen arglistiger Täuschung oder wegen Irrtums über die nichtbestehende Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers anzufechten. Auch ein Kündigungsrecht ergibt sich daraus nicht.

 

2. Beantwortung der Frage nach bestehender Schwerbehinderung

Es ist die Frage zu beantworten, ob der Bewerber um einen Arbeitsplatz verpflichtet ist, die Frage des Arbeitgebers nach einer Schwerbehinderung zu beantworten bzw. wahrheitsgemäß zu beantworten ist oder ob nicht gar ein „Recht zur Lüge“ besteht.

Sollte eine Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Beantwortung derlei Fragen bestehen, hätte die Nichtbeantwortung bzw. Falschbeantwortung gravierende Folgen: Die unrichtige Angabe könnte dann als „arglistige Täuschung“ im Sinne von § 123 BGB mit der Folge zu begreifen sein, dass der Arbeitgeber  die auf den Abschluss des Arbeitsvertrags gerichtete Willenserklärung mit der Folge der Nichtigkeit des Vertrags anfechten könnte.

Das Bundesarbeitsgericht hat in älterer Rechtsprechung durchgängig herausgestellt, dass die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderteneigenschaft des Stellenbewerbers zulässig ist. Sie soll selbst dann zulässig sein, wenn die Behinderung, auf der die Anerkennung beruht, tätigkeitsneutral ist (BAG, Urteil vom 05.10.1995, Az. 2 AZR 923/94; BAG, Urteil vom 03.12.1998, Az. 2 AZR 754/97).

Die unrichtige Beantwortung dieser zulässigen Frage des Arbeitgebers im Zuge der Anbahnung des Arbeitsverhältnisses sollte den Arbeitgeber grundsätzlich berechtigen, das Arbeitsverhältnis auch noch zu einem späteren Zeitpunkt wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB anzufechten. Die Anfechtung hat zur Folge, dass das Arbeitsverhältnis nichtig ist. Es endet ohne weiteres.

Zum 01.07.2001 trat das SGB IX „Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen“ in Kraft. Es löste das vorherige Schwerbehindertengesetz ab. Im SGB IX sind die Rechtspositionen schwerbehinderter Arbeitnehmer in vielen Bereichen gegenüber der vorherigen Rechtslage verstärkt worden.

Vor dem Hintergrund des Inkrafttretens des SGB IX ist die Zulässigkeit der arbeitgeberseitigen Frage nach der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers bei Begründung des Arbeitsverhältnisses neu diskutiert worden. In der arbeitsrechtlichen Literatur sowie in jüngeren Entscheidungen von Arbeits- und Landesarbeitsgerichten wird die Auffassung vertreten, die Frage nach einer Behinderung oder Schwerbehinderung sei jedenfalls dann bei Begründung des Arbeitsverhältnisses unzulässig, wenn diese Behinderung für die Ausübung der vorgesehenen Tätigkeit ohne Bedeutung ist (vgl. LAG Hessen, Urteil vom 24.03.2010, Az. 6/7 Sa 1373/09).

Darüber hinaus wird angenommen, dass diese Frage nicht nur in der Phase der Vertragsanbahnung, sondern auch in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses wegen §§ 81, 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX unzulässig sei.

Das Bundesarbeitsgericht hat in jüngerer Rechtsprechung ebenfalls angedeutet, dass es möglicherweise an seiner zurückliegenden Rechtsprechung nicht zwingend festhalten wird. Im Urteil vom 16.02.2012 hat es die Aussage getroffen, dass die Frage nach einer bestehenden Schwerbehinderung jedenfalls im bestehenden Arbeitsverhältnis nach sechsmonatiger Betriebszugehörigkeitsdauer zulässig sei (BAG, Urteil vom 16.02.2012, Az. 6 AZR 553/10).

Es hat dabei noch offen gelassen, ob denn vor Ablauf der sechsmonatigen Betriebszugehörigkeit eine solche Frage zulässigerweise gestellt werden darf. Damit deutet sich aber ein Rechtsprechungswechsel an.

Insgesamt sprechen erheblich bessere Argumente gegen die Zulässigkeit einer Frage nach der Schwerbehinderung bei Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses. Es wird zutreffend erkannt, dass die wahrheitsgemäße Beantwortung dieser Frage die Chancen von schwerbehinderten Menschen beeinträchtigen kann, einen ausgeschriebenen Arbeitsplatz tatsächlich zu erhalten. Dieser Gefahrensituation kann nur dadurch Rechnung getragen werden, dass Arbeitgebern das Recht genommen wird, nach der Schwerbehinderteneigenschaft im Zuge der Auswahl von Bewerbern um einen Arbeitsplatz zu fragen.

Allerdings besteht ein Restrisiko, dass bei wahrheitswidriger Verneinung der Schwerbehinderteneigenschaft in einem Fragebogen vor Einstellung zu einem späteren Zeitpunkt eine Anfechtung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber erfolgt.

 

3. Fragerecht des Arbeitgebers

Arbeitgebern ist dringend zu raten, neueingestellte Arbeitnehmer jedenfalls nach Bestand des Arbeitsverhältnisses von sechs Monaten noch einmal zu fragen, ob eine Schwerbehinderteneigenschaft besteht. Ab diesem Zeitpunkt wird sich der Arbeitnehmer nicht mehr auf den Standpunkt stellen können, zur Beantwortung dieser Frage nicht verpflichtet zu sein. Sollte sich dann herausstellen, dass eine Schwerbehinderteneigenschaft besteht und grundsätzlich Ausgleichsabgabenpflichtigkeit entsprechend § 77 SGB IX bestehen, müssten die der Bundesagentur für Arbeit zu übermittelnden Daten zur Berechnung des Umfangs der Beschäftigungspflicht aktualisiert werden, um die Abgabelast zu vermindern. Etwaig erfolgte Überzahlungen wären zurückzufordern.

Für die Beantwortung von Fragen zu diesem Themenkreis stehen wir gerne zur Verfügung.