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Betriebliche Übung und Sonderzahlung – das Bundesarbeitsgericht ändert seine Rechtsprechung bei Sonderleistungen mit unterschiedlicher Höhe

Was der Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis beanspruchen kann, insbesondere welche Arbeitsvergütung und Vergütungsbestandteile geschuldet sind, bestimmt sich regelmäßig nach dem Arbeitsvertrag oder einem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrag.

Allerdings ist schon seit langem anerkannt, dass sich (Zahlungs-) Ansprüche von Arbeitnehmern auch außerhalb ausdrücklicher arbeits- oder tarifvertraglicher Regelungen ergeben können, so z.B. aufgrund einer „betrieblichen Übung“.

Der Begriff der betrieblichen Übung beschreibt die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aus der die Arbeitnehmer schließen können, dass ihnen die aufgrund dieser Verhaltensweise gewährten Leistungen oder Vergünstigungen auch zukünftig auf Dauer gewährt werden sollen (BAG, Urteil vom 21.06.2011, Az. 9 AZR 203/10).

Für Arbeitnehmer können sich also schon Ansprüche aus einem bloßen tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers ergeben. Allerdings muss dieses Verhalten so ausgestaltet sein, die Arbeitnehmer auch tatsächlich davon ausgehen dürfen, dass eine Rechtsverbindlichkeit seitens des Arbeitgebers eingegangen werden soll.

1. Entstehen einer betrieblichen Übung

Wie das Bundesarbeitsgericht bisher in ständiger Rechtsprechung herausstellt, entsteht eine betriebliche Übung allein durch die gleichartige, mindestens dreimal wiederholte Praktizierung eines bestimmten Verhaltens des Arbeitgebers. Es soll nicht darauf ankommen, ob der Arbeitgeber dabei auch tatsächlich den Willen hat, eine rechtsverbindliche Verpflichtung einzugehen. Entscheidend ist allein, wie die Arbeitnehmer im Betrieb das Verhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben und unter Einbeziehung sämtlicher Begleitumstände verstehen durften (BAG, Urteil vom 01.04.2009, Az. 10 AZR 393/08).

Betriebliche Übungen zu Gunsten von Arbeitnehmern können sich auf eine Vielzahl von Leistungen beziehen, so z.B. auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung, Gratifikationen, Weihnachts- und Urlaubsgeld, so genannte „Treuegelder“ (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 28.06.2006, Az. 10 AZR 385/05), Regelungen hinsichtlich eines jährlichen Betriebsausflugs (LAG München, Beschluss vom 03.12.1998, Az. 4 TaBV 42/98.

2. Betriebliche Übung zulasten von Arbeitnehmern?

Der Grundmechanismus der betrieblichen Übung ist derjenige, dass sich eine wiederholte und weitgehend gleichförmige Verhaltensweise verfestigt. Leistet also der Arbeitgeber im Rahmen einer betrieblichen Übung wiederkehrend bestimmte Geldbeträge an Arbeitnehmer, ohne dass es diesbezüglich eine ausdrückliche vertragliche Regelung gibt oder eine sonstige Anspruchsgrundlage besteht, erwachsen hieraus für die Arbeitnehmer auch für die Zukunft Rechtsansprüche gegen den Arbeitgeber, ohne dass sich dieser zukünftigen Zahlungen einseitig entziehen kann.

Denkbar ist indes auch eine für Arbeitnehmer ungünstige (negative) betriebliche Übung. Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht einer solchen negativen/gegenläufigen betrieblichen Übung Grenzen gesetzt. Hat ein Arbeitgeber z.B. einem Arbeitnehmer jahrelang vorbehaltlos ein Weihnachtsgeld gezahlt, werde nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts der Anspruch dieses Arbeitnehmers auf Weihnachtsgeld aus betrieblicher Übung auch für die Zukunft nicht dadurch aufgehoben, dass der Arbeitgeber später bei der Leistung des Weihnachtsgeldes erklärt, die Zahlung des Weihnachtsgeldes sei eine freiwillige Leistung und begründe keinen Rechtsanspruch und der Arbeitnehmer dieser Handhabung über einen Zeitraum von 3 Jahren hinweg nicht widerspreche (BAG, Urteil vom 18.03.2009, Az. 10 AZR 281/08).

3. Abkehr vom Erfordernis der Gleichförmigkeit der Wiederholung bestimmter Leistungen

In der älteren Rechtsprechung hatte das Bundesarbeitsgericht angenommen, eine betriebliche Übung setze stets gleichförmige Leistungen des Arbeitgebers über einen gewissen Zeitraum voraus. So hatte es in einer Entscheidung aus 1996 geurteilt, es entstehe keine betriebliche Übung auf zukünftige Gewährung von Weihnachtsgeld, wenn – für den Arbeitnehmer erkennbar – die Zuwendung nach Gutdünken des Arbeitgebers dreimalig in unterschiedlicher Höhe gezahlt wird. Der Arbeitnehmer müsse in einem solchen Fall davon ausgehen, dass der Arbeitgeber die Zuwendung nur für das jeweilige Jahr gewähren will (BAG, Urteil vom 28.02.1996, Az. 10 AZR 516/95).

Von dieser Auffassung hat das Bundesarbeitsgericht nun Abstand genommen. Es nimmt jetzt an, dass ein Arbeitnehmer in verständiger Weise auch dann auf ein verbindliches Angebot des Arbeitgebers zur Leistung einer jährlichen Sonderzahlung im Sinne von § 145 BGB schließen dürfe, wenn der Arbeitgeber eine Leistung mit der Bezeichnung „Sonderzahlung“ in dreimaliger vorbehaltloser Auszahlung auch in unterschiedlicher Höhe vorgenommen hat (BAG, Urteil vom 13.05.2015, Az. 10 AZR 266/14).

Das Gericht hat sich auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob das Entstehen einer betrieblichen Übung dadurch verhindert werden kann, dass der Arbeitgeber bei der jeweiligen Leistungsgewährung auf die Freiwilligkeit derselben hingewiesen hat. Auch dies verneint das Gericht. Hier nimmt es an, der Begriff „freiwillig“ im Zusammenhang mit einer Sonderzahlung bringe regelmäßig lediglich zum Ausdruck, dass der Arbeitgeber nicht bereits durch Gesetz, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung zur Zahlung verpflichtet ist. Ein solcher Vorbehalt genüge für sich genommen nicht, einen Rechtsanspruch auf die Leistung in der Zukunft auszuschließen.

4. Folgen für die Praxis

Hat der Arbeitgeber in der Vergangenheit zusätzliche Leistungen in unterschiedlicher Höhe wiederkehrend erbracht, wird er sich zukünftig davon nicht mehr einseitig lossagen können. Allerdings hat der Arbeitnehmer nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts auch bei arbeitgeberseitiger Einstellung solcher Leistungen keinen Anspruch auf Zahlung in Höhe der zuletzt gewährten Leistung. Vielmehr ist der Arbeitgeber lediglich verpflichtet, die Höhe zukünftiger Leistungen im Rahmen billigen Ermessens (§ 315 BGB) festzulegen. Dabei ist theoretisch auch denkbar, dass für die Zukunft eine Reduzierung der Sonderzahlung „auf null“ noch billigem Ermessen entspricht. Auch dies hat das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich festgestellt. Hier wird sich aber regelmäßig ein nicht unerheblicher Begründungsaufwand des Arbeitgebers ergeben.

Trifft der Arbeitgeber keine Festlegung über die Höhe einer weiter zu zahlenden Sonderleistung, kann dies im Rahmen eines Klageverfahrens auch durch das Arbeitsgericht geschehen.

Haben Arbeitgeber sich in der Vergangenheit auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eingestellt und ohne Sorgen hinsichtlich der etwaigen Entstehung einer betrieblichen Übung wiederkehrend Leistungen in unterschiedlicher Höhe an Arbeitnehmer erbracht, werden sie diese Praxis zukünftig überdenken müssen. Auch der Freiwilligkeitsvorbehalt als vermeintliches „Allheilmittel“ gegen das Entstehen betrieblicher Übungen verliert immer mehr an rechtlicher Bedeutung. Daher ist sorgsam zu prüfen, ob bzw. unter welchen Rahmenbedingungen Sonderleistungen gewährt werden. Sinnvoll erscheint hier eine überlegte Ausgestaltung von Arbeitsverträgen.

Arbeitnehmer hingegen haben durchaus Veranlassung, bei plötzlicher Einstellung von arbeitgeberseitigen Sonderleistungen, die in der Vergangenheit regelmäßig und in unterschiedlicher Höhe gewährt wurden, über das Bestehen eines Anspruchs für die Zukunft nachzudenken.

In diesen Fragestellungen beraten wir Sie gern.