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Absinken der Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder unter die vorgeschriebene Mitgliederzahl – Auswirkungen für den Betriebsrat und Neuwahl:

 

Die regelmäßigen Betriebsratswahlen finden nach § 13 Abs. 1 BetrVG alle 4 Jahre in der Zeit vom 01.03. bis 31.05. statt. Dabei geht das Gesetz davon aus, dass der Betriebsrat im Regelfall nach erfolgter Wahl auch tatsächlich über die gesamte Amtsperiode von 4 Jahren im Amt bleiben kann und zwischen den regulären Wahlterminen keine Wahlakte erforderlich sind.

Allerdings gibt es besondere betriebliche Situationen, die den Bestand des Betriebsrats bzw. die Betriebsratsarbeit derart gefährden, dass außerhalb der festgelegten Wahltermine eine Neuwahl einzuleiten ist. Diese Fälle sind in § 13 Abs. 2 BetrVG geregelt. Danach sind ohne Bindung an den gesetzlichen Wahlturnus Betriebsratswahlen durchzuführen, wenn

  • mit Ablauf von 24 Monaten, vom Tage der Wahl an gerechnet, die Zahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer um die Hälfte, mindestens aber um 50, gestiegen oder gesunken ist,
  • die Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder nach Eintreten sämtlicher Ersatzmitglieder unter die vorgeschriebene Zahl der Betriebsratsmitglieder gesunken ist, 
  • der Betriebsrat mit der Mehrheit seiner Mitglieder seinen Rücktritt beschlossen hat, 
  • die Betriebsratswahl mit Erfolg angefochten worden ist, 
  • der Betriebsrat durch eine gerichtliche Entscheidung aufgelöst ist oder 
  • im Betrieb ein Betriebsrat nicht besteht.

 

Nachstehend soll der Neuwahltatbestand des Absinkens der Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder unter die vorgeschriebene Mitgliederzahl beleuchtet werden. Dabei ist zunächst die Frage zu betrachten, unter welchen Voraussetzungen ein Neuwahlerfordernis besteht. Zu klären ist ferner, welche Auswirkungen ein Absinken der Mitgliederzahl des Betriebsrats auf die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats hat, wann und in welcher Weise die Neuwahl einzuleiten und durchzuführen ist und inwieweit bei „ordentlicher“ Neuwahl eine Rückkehr zu den regelmäßigen Wahlterminen gemäß § 13 Abs. 1 BetrVG stattfindet:

 

1. Absinken der Mitgliederzahl des Betriebsrats

Ein Betriebsrat ist neu zu wählen, wenn die „Sollstärke“ des Betriebsrats auch nach Eintritt sämtlicher Ersatzmitglieder nicht mehr erreicht werden kann. Dabei ist zunächst fraglich, wonach sich diese „Sollstärke“ bestimmt.

Gesetzlich ist auf diejenige Stärke abzustellen, die zum Zeitpunkt der vorangegangenen (regelmäßigen) Betriebsratswahl bestand. Sie ergibt sich aus § 9 BetrVG und nimmt damit auf die Anzahl der in der Regel im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer Bezug.

War also z.B. bei der zurückliegenden regelmäßigen Wahl in einem Betrieb mit mehr als 200 und bis zu 400 Arbeitnehmern ein 9-köpfiger Betriebsrat zu wählen, ist die Neuwahl einzuleiten, wenn die Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder nunmehr weniger als 9 beträgt. Dies gilt auch dann, wenn sich die Betriebsgröße seit der zurückliegenden regelmäßigen Wahl so verändert hat, dass nach § 9 BetrVG nunmehr ein Betriebsrat mit geänderter Sollstärke zu wählen wäre (Beispiel: In dem oben beschriebenen Betrieb verändert sich die Belegschaftsstärke dahingehend, dass nunmehr weniger als 201 Arbeitnehmer beschäftigt werden. Gemäß § 9 BetrVG wäre der Betriebsrat nunmehr nur noch mit 7 Mitgliedern zu wählen. Selbst wenn unter diesen Voraussetzungen noch ein „Rest-“ Betriebsrat mit 7 Mitgliedern bestehen würde, wäre die Neuwahl wegen des Unterschreitens der bei der vorangegangenen Wahl maßgeblichen Betriebsratsgröße von 9 Mitgliedern die Neuwahl einzuleiten. Eine andere Frage ist diejenige nach der Größe des dann neu zu wählenden Betriebsrats, vgl. hierzu die Ausführungen unter Ziffer 3.).

Eine Neuwahl kommt nur in Betracht, wenn die Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder dauerhaft unter die gesetzliche Sollstärke gesunken ist. Dies ist dann nicht der Fall, wenn einzelne Betriebsratsmitglieder oder Ersatzmitglieder vorübergehend an der Amtsausübung gehindert sind, für die Zukunft aber eine Vollbesetzung des Gremiums erwartet werden kann.

Solange noch Ersatzmitglieder in den Betriebsrat nachrücken können, ist eine Neuwahl nicht erforderlich. Selbst wenn bei einem einköpfigen Betriebsrat das gewählte Betriebsratsmitglied sein Amt niederlegt scheidet eine Neuwahl aus, sofern noch ein Ersatzmitglied nachrücken kann.

Ohne Bedeutung ist, dass möglicherweise eine Wahlliste der zurückliegenden Wahl über keine Ersatzmitglieder mehr verfügt, auf die aber bei Ausscheiden eines gewählten Betriebsratsmitglied nach § 25 Abs. 2 BetrVG zurückgegriffen werden müsste. Dann kommt nämlich die Regelung in § 25 Abs. 2 S. 2 BetrVG zum Tragen, wonach im Falle der Erschöpfung einer Vorschlagsliste ein nachrückendes Ersatzmitglied derjenigen Vorschlagsliste zu entnehmen ist, auf die nach den Grundsätzen der Verhältniswahl der nächste Sitz entfallen würde.

Ohne Bedeutung ist auch der Umstand, dass im Falle eines möglichen Nachrückens die Geschlechterquoten gemäß § 15 Abs. 2 BetrVG nicht mehr erreicht werden können.

 

2. Funktionsfähigkeit des Betriebsrats bis zur Neuwahl

Auch unter den Voraussetzungen eines Absinkens der Anzahl der Betriebsratsmitglieder unter die gesetzliche Sollstärke bleibt der Betriebsrat im Amt und führt die Amtsgeschäfte einschränkungslos weiter. Sämtliche Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte bestehen weiter und werden nun von dem verkleinerten Gremium bis zum Abschluss der Neuwahl wahrgenommen. Hier kann es auch dazu kommen, dass der die Amtsgeschäfte weiterführende Betriebsrat entgegen der gesetzlichen Intention mit einer geraden Anzahl von Mitgliedern besetzt ist.

Diesem „Rest“-Betriebsrat steht es auch nicht frei, die Amtsgeschäfte einzustellen. Er ist vielmehr gesetzlich verpflichtet, diese fortzuführen. Kommt er dem nicht mehr nach, drohen Sanktionen gemäß § 23 BetrVG.

 

3. Einleitung der Neuwahl, § 16 BetrVG

Das Betriebsverfassungsgesetz verfolgt das Ziel der Amtsstabilität. Betriebsratslose Zeiten sollen vermieden werden. Daher ist schon in § 13 Abs. 2 bestimmt, dass unter den dort beschriebenen Voraussetzungen Betriebsräte (neu) zu wählen sind. Der Wortlaut lässt erkennen, dass es der Gesetzgeber nicht bei einer bloßen „Sollvorschrift“ belassen wollte.

Die Betriebsratswahl vollzieht sich dann nach den betrieblichen Gegebenheiten zum Zeitpunkt der Neuwahl. Die Größe des neu zu wählenden Betriebsrats bestimmt sich dann nicht nach der Belegschaftsstärke zum Zeitpunkt der vorangegangenen (regelmäßigen) Betriebsratswahl, vielmehr nach der Anzahl der regelmäßig zum Zeitpunkt der Neuwahl im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer (BAG, Beschluss vom 22.11.1984, Az. 6 ABR 9/84).

War also z.B. der Betriebsrat bei der zurückliegenden Wahl auf der Grundlage der vormaligen betrieblichen Verhältnisse 9-köpfig zu wählen, werden zum Zeitpunkt der Neuwahl auf Grundlage von § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG weniger als 201 Arbeitnehmer beschäftigt, bezieht sich die Neuwahl nur noch auf ein Gremium mit 7 Mitgliedern.

 

4. Bestellung des Wahlvorstands

Die Neuwahl des Betriebsrats obliegt nach den Strukturvorgaben des Betriebsverfassungsgesetzes nicht dem noch amtierenden „Rest“-Betriebsrat, vielmehr dem Wahlvorstand. Dieser ist zu bestellen. Die Bestellung des Wahlvorstandes vollzieht sich nach den Regelungen in § 16 BetrVG.

Gemäß § 16 Abs. 1 BetrVG bestellt der Betriebsrat einen aus drei Wahlberechtigten bestehenden Wahlvorstand und einen von ihnen als Vorsitzenden. Dies hat gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 BetrVG spätestens 10 Wochen vor Ablauf der Amtszeit zu geschehen.

Diese Vorschrift hat in erster Linie die Bestellung des Wahlvorstandes vor Ablauf der regulären Amtszeit des Betriebsrats im Auge. Die im Gesetz niedergelegte 10-Wochen-Frist kann im Falle der vorzeitigen Neuwahlen § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG naturgemäß nicht bestimmt werden. Daher geht die betriebsverfassungsrechtliche Literatur davon aus, dass der Betriebsrat diesen Fällen den Wahlvorstand unverzüglich, mithin ohne schuldhaftes Zögern, bestellen muss, nachdem der Neuwahltatbestand eingetreten ist. Die Bestellung erfolgt durch einen mit einfacher Stimmenmehrheit entsprechend § 33 BetrVG gefassten Beschluss.

Zum Mitglied des Wahlvorstands kann jeder wahlberechtigte Arbeitnehmer bestellt werden (BAG, Beschluss vom 15.10.2014, Az. 7 ABR 53/12). Wahlberechtigt sind nach § 7 BetrVG alle Arbeitnehmer des Betriebs, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Auch diejenigen Arbeitnehmer eines anderen Arbeitgebers, die zur Arbeitsleistung überlassen worden sind, sind unter der Voraussetzung, dass sie länger als 3 Monate im Betrieb eingesetzt werden, wahlberechtigt (§ 7 S. 2 BetrVG). Hiervon erfasst werden in erster Linie aber Arbeitnehmer, die im Wege der Arbeitnehmerüberlassung in den Entleiherbetrieb eingegliedert worden sind. Fremdarbeitnehmer, die auf der Basis von Werk- bzw. Dienstverträgen im Betrieb eingesetzt sind, erwerben hingegen keine Wahlberechtigung und können daher auch nicht zum Wahlvorstand bestellt werden.

Ebenso können Mitglieder des Betriebsrats selbst zu Mitgliedern des Wahlvorstands bestellt werden. Der Bestellung zum Mitglied des Wahlvorstands steht auch nicht entgegen, dass sich das zu bestellende Mitglied der Wahl als Betriebsratskandidat stellen möchte (BAG, Beschluss vom 04.10.1977, Az. 1 ABR 37

/77).

 

5. Rückkehr zu den regelmäßigen Wahlterminen

Hat außerhalb des für die regelmäßigen Betriebsratswahlen festgelegten Zeitraums eine Betriebsratswahl stattgefunden, ist der Betriebsrat gemäß § 13 Abs. 3 BetrVG in dem auf die Wahl folgenden nächsten Zeitraum der regelmäßigen Betriebsratswahlen neu zu wählen. Hat allerdings die Amtszeit des Betriebsrats zu Beginn des für die regelmäßigen Betriebsratswahlen festgelegten Zeitraums noch nicht ein Jahr betragen, so ist der Betriebsrat in dem übernächsten Zeitraum der regelmäßigen Betriebsratswahlen neu zu wählen.

Hat also z.B. im Juli 2017 eine Neuwahl des Betriebsrats gemäß § 13 Abs. 2 BetrVG stattgefunden, würde die an sich nach § 13 Abs. 1 BetrVG anstehende reguläre Neuwahl im Zeitraum 01.03. bis 31.05.2018 für diesen Betriebsrat ausfallen, er würde erst 2022 neu gewählt werden.

 

Fazit:

Ereignen sich während der regulären Amtsperiode des Betriebsrats „Störfälle“ im Sinne von § 13 Abs. 2 BetrVG, die zu einer Neuwahl zwingen, sind eine Vielzahl von Rechtsfragen zu klären. Der Betriebsrat hat dafür Sorge zu tragen, gerade in dieser besonderen Situation seinen betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten ordnungsgemäß nachzukommen. Es gilt die Neuwahl des Betriebsrats so vorzubereiten, dass diese möglichst anfechtungsfrei verläuft. Der Wahlvorstand ist in rechtskonformer Weise zu bestellen und auf die auf ihn zu kommende Aufgabe der Einleitung und Durchführung der Neuwahl vorzubereiten.

In sämtlichen dieser Fragestellungen beraten und betreuen wir Betriebsräte, Wahlvorstände und Arbeitgeber.